Artenvielfalt auf kleinstem Raum ...

10.10.2016

Wenn die kalte Jahreszeit beginnt, ziehen sich viele Tiere - bzw. sofern es sich um Insekten handelt - deren Larven in die Unterwelt oder geeignete Verstecke zurück, wo sie starr und steif das nächste Frühjahr erwarten. Das heißt, nur wenn man mit den Tieren und deren lebensgewohnheiten einigermaßen vertraut ist, kann man sie in ihren Winterquartieren aufspüren ....

Kaum zu sehen weil kaum anzutreffen ist dieser weiß-durchsichtige Bandfüßer (Polydesmida sp.), der eng verwandt ist mit Hundertfüßern und Tausendfüßern. Sie haben noch nie von Bandfüßern gehört? Keine Sorge - auch ich bin das erste Mal auf dieses Tierchen gestoßen, das mit kaum 3cm nicht gerade zu den Riesen der Tierwelt gehört! Und auch das war Zufall, weil ich einen alten Holzstubben als potentielles Winterquartier für größere Laufkäfer untersuchen wollte und hierbei im Mulm unter abblätternder Rinde dieses schöne weiße Exemplar entdeckt habe ....

Im gleichen Baumstrunk findet sich dann auch noch ein sogenannter Saftkugler (Glomeris sp.), der ebenfalls zu der Gruppe der Tausendfüßler gehört. Die detaillierte Unterscheidung der verschiedenen Arten gehört in die Hände geübter und erfahrener Spezialisten .... aber an der Buntheit dieses kleinen Kerlchens können wir uns auch ohne die genaue Art zu wissen erfreuen ....

Dieses kleine, etwa 5mm durchmessende kugelige Gebilde aus weißen struppigen Fasern könnte der Kokon einer Spinne sein, welche im Inneren ihre Eier abgelegt hat ... aber sicher ist das nicht - und auch wenn es sich vielleicht "nur" um Spinnen gehandelt hätte - nach dem Foto wurde der Kokon wieder vorsichtig unter die Rinde appliziert, um ihn wie vom Muttertier vorgesehen vor der Winterkälte zu bewahren ....

Noch jemand befindet sich im gleichen Winterquartier: Eine Rotschwarze Schlupfwespe (Netelia testacea) krabbelt schwerfällig aus einer kleinen Höhlung im weichen Holzmulm heraus und läßt ihre Fühler spielen, um zu ergründen, wieso plötzlich Licht und Kälte um sie ist .... nach wenigen Sekunden verzieht sie sich aber sofort in tiefergelegene Gänge und taucht nicht mehr auf ...

Im noch harten Holz im Zentrum des Baumstrunkes findet sich die Larve wahrscheinlich eines Bockkäfer, der praktisch beinlos sich durch die Gänge wälzt, die er sich selber erst erfressen muss ... hinter sich stopft er diese Gänge gleich wieder zu mit seinen Ausscheidungen, die feinen trockenen Holzmulm bilden ....

An den besonders weichen, verpilzten und bemoosten Stellen am Holzstrunk findet sich ein großes Gelege einer Weinbergschnecke (Helix pomata), deren glasige Eier hier sich selbst überlassen sind und aus denen im Frühling - sofern sie die Kälte überdauern und von keinem Specht entdeckt werden - winzige Schnecken schlüpfen ....

Alte Holzstrünke - im Fachjargon "Totholz" genannt - bilden oft ganze Universen voller kleinstem tierischen aber auch pflanzlichen Lebens. Jeder Bereich, vom harten Kernholz bis zum lockeren Randholz, von der oft gehärteten Oberseite bis zum mulmigen Wurzelbereich, wird von irgendwelchen darauf spezialisierten Lebewesen genutzt, von irgendwelchen Pilzen, Moosen oder Flechten besetzt. Und alle beziehen aus diesem "Toten Holz" Nahrung für zahllose verschiedene Lebensformen - und deren Freßfeinde!

Totes Holz ..... und doch sooo voller Leben ....

"Nur" ein Baumstumpf .... und doch kann man mit seiner Untersuchung lange Zeit brauchen, viel Zeit verbringen, ohne alle Wunder dieses speziellen Lebensraumes "Totholz" wirklich erfassen zu können ....

>>> zum nächsten Tagebuch-Eintrag ...

 

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