Die erste Seltenheit ...
25.05.2016
Zuerst einmal finde ich gleich am Beginn des Weges in einem Graben entsorgten Strauch- und Astschnitt; dazwischen ganze verwelkte, weiche Blätterbündel von Garten-Iris ... und eine dieser hübschen Lilien hat sich hier im Halbschatten noch einmal aufgerafft und zu blühen begonnen, so als ob sie zeigen wollte, dass ihr Leben noch lange nicht vorbei sei ...
Zwei verschieden alte Baumstrünke am Weg wecken meine Neugier und ich gehe näher an sie heran. Zwar ist vorerst nichts zu sehen, aber als ich ein kleines auf der Baumscheibe liegendes Holzstück umdrehe ...
... kommt darunter eine riesige Assel zum Vorschein, die dort in der Feuchtigkeit den Tag verbringt. Ein späterer Blick in die Bestimmungsmöglichkeiten des Internet zeigt, dass es sich um die Mauerassel (Oniscus asellus) handelt, die eng verwandt ist mit unserer allbekannten und ungeliebten grauen Kellerassel ...
Überall finden sich heute auf Doldenblüten und Grashalmen zahlreiche Exemplare der Streifenwanze (Graphosoma lineatum), die von vielen für einen Käfer gehalten wird! Diese Wanzenart ist in Österreich zwar weit verbreitet, aber nur lokal häufig ... bei Sonnenschein sind diese Tierchen nur schwer zu fotografieren, da sie sich bei Annäherung entweder rasch fallen lassen oder sich vom Beobachter wegdrehen oder auf die andere Seite der Pflanze wechseln ...
Dieselbe Streifenwanze (Graphosoma lineatum) einmal von unten gesehen ...
Ein erster überraschender Fund ist dieses schon seltene Tierchen: Ein Bockkäfer aus der Gattung der Halsböcke, der Gefleckte Halsbock oder auch Sechstropfiger Halsbock (Anoplodera sexguttata). Diese Käferart entwickelt sich in morschem Holz von Laubbäumen, besonders Eichen und Buchen werden als Wirtspflanze genannt. Bemerkenswert ist, dass sein Vorkommen immer auf alte Wälder hinweist, in denen noch genügend Totholz wie abgestorbene Äste, Bäume mit Baumhöhlen und Baumleichen zu finden ist - was in reinen Wirtschaftswäldern aufgrund der Waldpflege oft nicht mehr der Fall ist! Diese Käferart könnte somit ein erster Hinweis auf die natürliche Qualität und damit verbunden den hohen ökologischen Wert des Raader Waldes sein!
Unweit der Fundstelle findet sich ein typisches Beispiel eines reinen, gottseidank nur sehr kleinflächigen Wirtschaftswaldes, der aufgrund seiner gleichförmigen Altersstruktur und des dichten Bewuchses kaum Lebensraum für irgendwelche Tiere oder Pflanzen bieten kann ...
An einem Baumstamm findet sich ein angeklebtes Objekt, das wie Ton wirkt: eine Töpferwespe hat hier ihre Brut abgelegt. Bis zu 10 Eier werden in solche Gebilde gelegt, wobei jedes Ei seine eigene Kammer hat und mit Nahrung versorgt "eingemauert" wird ... ob die beiden Löcher auf eine Beraubung schließen lassen oder schon aktuelle Schlupflöcher sind, bleibt unbekannt ... (Der Bruttopf wurde übrigens nach dem Foto mit Baumharz wieder an seiner ursprünglichen Stelle angeklebt!)
Doppelhochzeit bei den Streifenwanzen (Graphosoma lineatum) .....
Der schon vor einigen Tagen fallweise anzutreffende Stolperkäfer (Valgus hemipterus) ist jetzt überall in Mengen anzutreffen, wie er sich über den Blütenstaub und den Nektar der Blütendolden hermacht ...
Ein fast blütenweißes Weibchen der Veränderliche Krabbenspinne (Misumenta vatia) hat regungslos und geduldig in einer Blütendolde gelauert, eine anfliegende Fliege überfallen und hält sie nun gepackt. Bald wird sie beginnen sie auszusaugen und dann die leere Hülle auf den Boden werfen ... interessant ist, dass diese Krabbenspinnen-Art die Färbung ihres Körpers dem Untergrund anpassen können ...
Zwischen den vielen eher bunten Insekten auf den Doldenblüten tummelt sich dann und wann ein braunes unauffälliges Tierchen, das wieder einmal einem Käfer gleicht, aber dennoch zu den Wanzen gehört: die Lederwanze (Coreus marginatus) ...
Wer ihr nahe genug kommt - und damit meine ich SEHR nahe - nimmt vielleicht sogar ihren feinen Apfelgeruch wahr! Aber Achtung: Abwehr ist vorprogrammiert: sie kann ein giftiges Sekret verspritzen, das kleine braune Flecken auf der Haut verursachen kann, aber für den Menschen natürlich nicht gefährlich ist - das Gift dient als Abwehr für Fressfeinde.
Laute warnende Rufe aus den benachbarten Baumkronen lassen mich aufmerksam werden. Weithin schallt das "tix-tix-tix" eines Buntspechtes (Dendrocopus major) durch den Laubwald. Noch während ich genau horchend versuche, das Blattwerk mit meinen Augen zu druchdringen, gesellt sich ein zweiter Warner hinzu - jetzt bin ich mir fast sicher: ich stehe in unmittelbarer Nähe einer Bruthöhle und die Elterntiere warnen aufgeregt .... ich stelle mich dicht neben Eichenstämme, und langsam nur verändere ich meinen Standort während ich intensiv beobachte und die Warnungen seltener werden - und dann: eine huschende Bewegung im Blattwerk, deutlich hörbarer Flügelschlag - und unmittelbar in meiner Nähe, viel näher als erwartet, baumt ein Buntspecht direkt an einer kleinen Höhle unter einem Zunderschwamm auf, worauf die Jungen in der Höhle lauthals zu rufen beginnen ... alles passiert viel zu rasch für ein Foto ...
Die Berauschte Blattwespe (Tenthredo temula) legt ihre Eier mit Vorliebe an Liguster, der im Raader Wald häufig vorkommt. Die erwachsenen Wespen ernähren sich von den Pollen und vom Nektar des Weißdorn, Wiesenkerbel und Brombeeren, die ebenfalls im Raader Wald weit verbreitet sind ...
Der Rotköpfige Feuerkäfer (Pyrochroa serraticornis) ist normalerweise nicht so häufig, aber hier und heute überall am Wiesenkerbel und auf Grashalmen herumkletternd zu finden!
Der Gemeine Weichkäfer (Cantharis fusca) ist eine überall häufig auf Blütendolden anzutreffende Käferart. Er wird im Volksmund oft auch Soldatenkäfer genannt ...
Es geht im Zuge des Spazierganges an einem Gerstenfeld vorbei, worin sich mittendrin und knallrot eine einzelne Blüte des Klatschmohns (Papaver rhoeas) wiegt ...
Pupurfarben leuchten diese Blüten oft aus dem dunklen Bereich des Wegrandes. Diese auffällige Pflanze, die wohl zu den Wickengewächsen gehört, entpuppt sich auch später bei der Bestimmung zuhause als harte Nuss - sie ist für mich zu schwierig vom Foto zu bestimmen, und so muss ich mich zufriedengeben mit dem Wissen, dass es sich um eine Wicke handelt ...
Im beginnenden Abenddämmer glänzen große seidig aussehende Gespinste von einem Strauch, der sich als Gewöhnlicher Spindelstrauch (Euonymus europaeus), bekannt als Pfaffenhütchen, entpuppt. Ganze Astteile sind befallen und der Bewuchs dieser Bereiche ist großteils kahlgefressen.
Ich betrachte mir das näher - und entdecke ganze Nester von Raupen der Pfaffenhütchen-Gespinstmotte (Yponomeuta cagnagella)
Eine davon klettert in vollendeter Akrobatik an einem hauchdünnen Faden senkrecht in die Höhe, um in einem dieser Gespinste während der Nacht Schutz zu finden ...
Viele Beobachtungen hat dieser kurze Streifgang wiederum erbracht, nicht alles konnte bestimmt werden, aber schon jetzt wird ersichtlich, dass jeder neue Ausflug, jeder neue Aufenthalt im Raader Wald ebenso neue und interessante Beobachtungen mit sich bringt. Manchmal genügt nur eine kurze Wegstrecke, um ein intensives Erleben, Erschauen und Erfühlen zu ermöglichen; manchmal genügt sogar ein Standort, um den Reichtum der hier (noch?) vorhandenen Tier- und Pflanzenwelt wahrzunehmen ...
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