Frostige Zeiten ...
19.12.2018
Der Winter hat eine dünne Schneedecke über den Raader Wald gebreitet, und frostige Kälte hat Einzug gehalten. Die wenige Feuchtigkeit in der Luft schlägt sich auf den letzten Blättern eines Hartriegels nieder, gefriert dort zu glitzernden Mustern und umkränzt den Blattrand mit winzigen Eisdornen ...
Die Knospen an den Spitzen von Eichenzweigen sind schon für den kommenden Frühling angesetzt - und auch sie sind um und um weiß bereift. Der Herbst hat jeden Tropfen aus den Blättern gesaugt, hat sie beim Austrocknen leise knisternd verbogen und in sanfte Wellen gelegt. Und auch die Blätter haben einen weißen Pelz aus eisigkaltem Reif ...
Unweit des Weges sieht man Spuren, die zu einem kleinen hölzernen Zelt führen. Sorgsam platzierte Steine und kleine persönliche Hinterlassenschaften als Opfergaben, die der Natur zurückgegeben wurden liegen darunter. Sie zeigen, dass hier Menschen bewusst ein Ritual abgehalten haben ... vielleicht als Dank für glücklich vergangene Tage? Vielleicht als Bitte um den Segen der Waldgeister? Vielleicht sogar als Bitte um Beistand zum Erhalt des Raader Waldes?
Seltsam passend, dass sich in unmittelbarer Nähe eine sogenannte "Baumwarze" findet, welche für "spürende" Menschen oft einen besonderen Platz in der Natur darstellt.
Schon öfter habe ich diesen Baum aufgesucht, jedoch in den letzten Monaten hat er sich stark verändert. Die Rinde wurde vom Specht abgeschlagen ... dieser hat wohl als Erster bemerkt, dass es nicht gut um den Baum bestellt ist!
Großflächig ist die Rinde von dieser, wie die meisten ihrer Schwestern dem Tod geweihten Esche abgeschlagen. Tiefrot zeigt sich die darunter liegende Schicht der Rinde ...
Geht man nahe genug heran, sieht man, wonach der Specht gesucht hat: zahlreiche Gänge von Insektenlarven durchziehen die Borke nach allen Richtungen und in verschiedenen Durchmessern - hier lohnt sich der Arbeitseinsatz schon, um zu den fetten Larven zu kommen ...
Und doch ist es Schwerstarbeit, die der senkrecht am Baumstamm sitzende Specht da vollbringen muss. Nur schwer dringt die Messerspitze in den Zwischenraum von Rinde und Stamm - und die Borke abzulösen, lasse ich lieber sein - die Klinge biegt sich verdächtig bei diesem Versuch ...
Am Fuss des Baumes liegen ganze Berge von Rindensplittern, die kraftvoll abgemeißelt wurden ...
Bald wird der Baum endgültig tot sein - aber wie in der Natur für alte Bäume üblich, wird erst dann das Leben auf, in und um ihn beginnen: Insekten, Pilze, Flechten und Schwämme werden ihn mit kleinen Spalten und Gängen durchziehen. Spechte werden Bruthöhlen meißeln und Nahrung auf ihm suchen. Brechen die Äste und bilden sich Höhlen, größere Ritzen und Nischen, dann können Fledermäuse, Eulen, Singvögel und größere Insekten darin hausen. Bricht er endlich zusammen, besiedeln ihn die Spezialisten für Humusproduktion, die ihn zu fruchtbarer Erde umwandeln ... aber wie viele Jahre, ja Jahrzehnte kann es bis dorthin dauern, wenn man den Wald nur in Ruhe läßt?
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