Ein kleines Referat über angeblich Totes Holz ...

19.06.2016

Nach heftigem Regen am Vormittag den Spätnachmittag noch schnell genutzt .. Ich habe beschlossen, diesmal ausschließlich nach Totholz zu suchen, also abgebrochene oder umgestürzte, entwurzelte Bäume.

Während ich langsam eine Wiese entlang marschiere, fällt mir ein Echt-Beinwell (Symphytum officinale) auf, der seine hängenden violetten Blüten teilweise schon verloren hat. Er hat sowohl in der Küche als auch in der Heilkunde seinen Platz ...

Wenige Schritte weiter gibt es ein ganzes Feld mit der Großen Brennessel (Urtica dioica) die wohl jedermann aus eigener Erfahrung und/oder Anwendung kennt ... aber der Regen hat es saftig und kraftvoll zu einer wahren grünen Wand hochwachsen lassen. Na klar, wird sich so manche(r) jetzt fragen, Brennessel, kennt doch jeder ... wieso sind diese unnützen Stauden es wert, fotografiert zu werden? Weil sie wichtig sind für unsere Schmetterlinge! Weil z.B. Admiral, Kleiner Fuchs, Landkärtchen, Tagpfauenauge, Nessel-Höckereule, Brennessel-Zünslereule auf genau diese Pflanze für ihre Entwicklung angewiesen sind! Wie oft habe ich schon die Klage gehört, dass in blumenreichen Gärten sich keine Schmetterlinge einfinden wollen ... dabei brauchen die Schmetterlinge ja nicht nur die Blüten, sondern müssen sich ja auch irgendwo vom Ei über die Raupe zum Schmetterling entwickeln können! Und genau DAS bieten oft solche im Garten ungeliebte Pflanzen ... dabei findet sich mit etwas gutem Willen IMMER irgendeine Ecke, wo man sie für die Schmetterlingsbrut dulden kann ...

Andererseits - spiegelt das nicht genau unsere Gesellschaft wieder? Geschäfte, Fabriken, Straßen, Parkplätze wohin man sieht, aber kaum mehr "natürlicher Lebens- und Spielraum" für unsere Kinder ....

Überall sind die noch jungen, hellgrünen Pflanzen der Groß-Klette (Arctium lappa) verstreut in der Wiese sichtbar. Das helle frische Grün tut den Augen richtig wohl, und ich erinnere mich an die Spiele der Jugendzeit, wo mit den Kletten herumgeschossen wurde - sehr zum Leidwesen der Mütter - und der Mädchen, welche das Pech hatten, im Haar getroffen zu werden ...

Zwischen dem prachtvollen und frischen Grün der Wiesenkräuter reckt die Eigentliche Echt-Schafgarbe (Achillea millefolium) ihre Blütenkörbchen in die Höhe. Aus den Blüten kann man - nach dem gleichen Rezept wie beim Holunder - wohlschmeckenden Saft ansetzen oder sogar einen prickelnden Sekt zubereiten.

Die manchmal riesigen Blätter der Groß-Klette (Arctium lappa) dienen manchmal ungewollt als Tränke für kleineres Getier. Im Blatt sammelt sich das Regenwasser und in der Bodenkühle verdampft es oft erst sehr langsam und spät ....

Eine größere Gruppe von Rotföhren (Pinus sylvestris) leuchtet mit ihren oberen roten Stammteilen von der Seite her. Der Wald ist hierdurch an dieser Stelle locker und lichtdurchlässig ... es ist immer wieder überraschend, wie vielgestaltig und vielseitig sich ein Wald darstellen, kann. Mal undurchdringlich scheinend, mal wieder hell und licht ...

Es lohnt sich wirklich zu versuchen, den Raader Wald einmal so richtig zu entdecken ...

Etwas abseits des Weges werde ich dann fündig ... niedergebrochenes Stangenholz liegt kreuz und quer im Unterholz und erschwert das Durchkommen ... es sind dies Bereiche, wo nicht einmal Rehe sich durchzwängen, wodurch so manche Pflanzenart gefördert wird und sich von dort ausbreiten kann ...

Diese Form von Totholz - dünne Stangen, Äste und Triebe - erfüllt also ganz besondere Aufgaben, und nicht nur im Raader Wald: Sie halten Großtiere aufgrund des unbequemen Fortkommens draußen, fördern Kleintiere und bieten ihnen Versteck, und nur relativ kleine und kurzlebige Insekten können sich auf die "Beseitigung" dieses Totholzes spezialisieren - für größere fehlt einfach die notwendige Masse an Holz, um die benötigten großen, breiten Gänge ausnagen zu können ...

Dazwischen finden sich immer wieder Stangen, von denen bereits die Rinde abblättert ... hier können sich bereits bestimmte mittelgroße Käferarten ansiedeln und ihr Werk beginnen, nämlich das Holz aufzubereiten für die nächste Welle der Besiedler und Zerleger, für Pilze und andere Insekten ...

Ganz anders der liegende Baumstamm, ebenfalls ein bestimmter Typ Totholz, der von unten her Feuchtigkeit anzieht und daher oben stark bemoost ist ... hierdurch noch feuchter fördert er Pilze und nur ganz spezielle aber andere Arten als beim trockenen Stangenholz. Große Insekten besiedeln diese Art von Totholz, denn hier ist das nötige Volumen vorhanden für lange dicke Gänge, andererseits bietet es durch den Moder nur ganz geringe mengen an Nährstoffen. Dies wiederum bewirkt, dass die Larvenstadien bis zu 6 Jahren dauern, ehe es zur Verpuppung und zur Entwicklung zum fertigen Käfer kommt!

Dieser schräg liegende Stamm hat bereits seine Rinde verloren, es sind aber noch keine Ausfluglöcher von größeren Insekten zu sehen ... und schon liegt auch ein anderer Typ von Totholz vor uns: dieser trocknet durch Luft und Sonne aus, verhärtet extrem, modert hierdurch nicht und ist in den Anfangsjahren durch Pilze kaum besiedelt. Hier werden sich die "harten Brocken" von Insekten einfinden, welche sich auch durch das verhärtete Holz nicht abhalten lassen. Wir dürfen gespannt sein, was und ob wir hier an summenden und brummenden Raritäten finden werden ...

Ein letzter Typ von Totholz ist dieser Baumstrunk - und er wird abermals durch gänzlich andere Insekten besiedelt - diese müssen in der erstsen Besiedelungswelle spezialisiert sein auf zuerst sehr hartes Wurzelholz, das kaum Nährstoffe beinhaltet, ... die zweite Besiedlung erfolgt über die zurückgelassenen Bohr- und Fraßlöcher, und dann ist es meist ein Kombination aus Pilzen, Insekten, Gliederfüßern bzw. deren Larven. Und erst, wenn der Baumstrunk komplett braun und zerfasert, aber immer noch genug haltbare masse hat, kommen Großkäfer aus der Familie der Blatthornkäfer, und erste deren riesige Larven besorgen den Rest der Umwandlung vom Baumstrunk zu Humus, zu dem er schließlich zerfällt ...

Wie werden sich diese beiden Stämme entwickeln, wie macht sich der Unterschied - einer am Boden, der andere in der Luft - über einen längeren zeitraum bemerkbar? ... Zwei dicht beisammen liegende Typen von Totholz haben wir durch diesen gegabelten Stamm vor uns - und wer Geduld hat, kann hier über Jahre hinweg den unterschiedlichen Verfall studieren, miterleben ...

Ein dunkler Gast bewegt sich in den finsteren Tiefen zwischen dem Totholz - es braucht das Blitzlicht, um sicher zu gehen, dass auf dem Bild etwas zu erkennen ist. Ein Roßkäfer (Geotrupes stercorarius) trollt sich, mit seinen sechs Gliederbeinen hörbar über die trockene Rinde kratzend, an die Stammunterseite ... entfernt verwandt mit dem heiligen Skarabäus der Ägypter dreht er wie dieser eine Kotpille - im Wald wohl von Rehen oder Hasen - wohinein das Weibchen genau EIN Ei legt und diese Pille unter die Erde in Gängen versteckt ...

Totholz - ein sonderbarer Begriff, wenn man bedenkt, dass doch so viel anderes Leben von diesem Lebenszyklus eines Baumes abhängt. Ich selber neige eher zur Ansicht, dass sich der Lebenszyklus eines Baumes vom Samen nicht bis zu seinem Zerfall oder Sturz, sondern bis zum endgültigen Zerfall zu Humus erstreckt! Und so kann der gestürzte, zwar leblose Baum immer noch seine vielleicht für viele wichtigste Funktion erfüllen: ihnen Heimat und Nahrung zu bieten über lange lange Jahre ...

Man sollte bedenken, dass in Wirtschaftwäldern den Bäumen ihre vielleicht wichtigeste Funktion verweigert wird: im Alter ihres Gesamtlebens der Jugend einer unbestimmten Gesamtheit deren Lebensraum zu sein ...

... über noch viele andere Funktionen des Totholzes werden wir noch hören, wenn die entsprechenden Beispiele gefunden wurden und fotografiert werden konnten .... versprochen!

Wer sich bis hierher "durchgelesen" hat: Inzwischen gibts allgemeine Informationen über den Lebensraum Raader Wald - die im Zuge des Kennenlernens noch laufend erweitert werden - hier unter >> Raader Wald >> Wissen > Lebenraum

 

designed by © Norbert Steinwendner, A 4300 St. Valentin